Anja, 31. August 2019
Vor etwa einem Jahr hatte ich ein Gespräch in der Rosa-Luxemburg-Stiftung über die Einladung von ROSA – Trotz alledem nach Brasilien. Ich war so überrascht und glücklich, dass ich es kaum glauben konnte! Seitdem liegt ein ganzes Jahr der Planung und Organisation der Gastspielreise, zusammen mit der Rosa Luxemburg Stiftung und dem Goethe-Institut Brasilien, hinter uns. In den letzten Monaten fand dann ein intensiver Austausch mit Dora, Leiterin unseres Produktionsbüros (PLATÔproduções) in São Paulo, statt. Alles konkretisierte sich zunehmend. Flüge wurden gebucht, Requisiten besprochen, Proben festgelegt – sogar wer, wann, welche Wäsche gewaschen bekommt, wurde detailliert im Schedule fixiert! Die Reise rückte näher und näher.
Jetzt, knapp 30h Stunden vor dem Abflug, sehe ich auf meine gepackten Koffer, auf die brasilianischen Programmhefte meines Stückes auf dem Computer, so dass ich es langsam glaube:
Ich fliege morgen nach Brasilien!
Und ich bin in freudiger Erregung und so gespannt, was wir erleben werden vor Ort, welche Menschen wir treffen, welche Gespräche wir führen werden.
Anja, 31. August 2019
Als ich 2015 begann Rosa Luxemburgs Schriften und Reden zu lesen, wusste ich, dass ihre Gedanken noch heute aktuell und wichtig sind. Dass dann jedoch unser Theaterstück ROSA – Trotz alledem so stark den Nerv der Zeit treffen würde, konnte ich damals nicht erahnen.
„Wenn man den Profitgedanken weiter verfolgt, dann wird die Akkumulation des Kapitals unbegrenzt sein. Es ist ein immanentes Gesetz der kapitalistischen Produktionsweise, dass sie danach strebt, nach und nach selbst die entlegensten Orte miteinander materiell zu verknüpfen, in ökonomische Abhängigkeit voneinander zu bringen und schließlich die ganze Welt in einen einzigen fest zusammengefügten Produktionsmechanismus zu verwandeln.
Eine globalisierte Welt, die dem Gedanken der Profitmaximierung unterworfen wurde.“ (Rosa Luxemburg)
Gerade wurde ein neues Freihandelsabkommen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten ausgehandelt, welches den Warenaustausch noch stärker erleichtern soll. Währenddessen stehen riesige Waldgebiete im Amazonasbecken in Flammen, weil Großgrundbesitzer mehr Land zum Anbau von Monokulturen wie Soja brauchen, um dann damit unsere Schweine in Deutschland zu füttern. Lebensraum von Pflanzen, Tieren, indigenen Einwohnern wird genau in diesem Moment tausendfach vernichtet. All diese zerstörerischen Entwicklungen hat Rosa Luxemburg vorausgesagt. Und nun spielen wir dort, wo es brennt.
Montagmorgen fliegen wir (Susanne, Lutz, Henrike, Ernest und ich) von São Paulo über die, von den Bränden betroffenen Gebiete, nach Manaus, direkt ins Herz des Regenwaldes. Wir werden uns selbst ein Bild machen können, was tatsächlich im Regenwald vor sich geht. Bevor die Tour dann in São Paulo am 8.9. startet, werden wir hoffentlich die Schönheit des Regenwaldes genießen können.
Ich bin berührt, zutiefst beglückt, dass ich das erleben darf.
Susanne, 28. August 2019
Habe heute tatsächlich schon meinen Koffer gepackt. Er liegt noch geöffnet in der Mitte des Zimmers - wie immer ist er zu voll, alles ist irgendwie nicht richtig zusammengelegt und quillt an den Seiten über...und es fehlt noch das Moskitonetz, das ich noch im Auto habe - für alle Fälle. Ich habe wie immer das uncoolste Reisegepäck unter der Sonne. Einen alten Koffer der aussieht, als hätte er zwei Weltkriege überlebt, und den hässlichsten Rucksack ever. Mit meiner Reisegarderobe verhält es sich ähnlich - herrgott, es gibt so Menschen, die auf Reisen immer gut aussehen: Lässige Klamotten, trendige Samsonites, irre bequemes aber dennoch total gut aussehendes Schuhwerk - alles dabei, jedes Teil stimmig. Ich gehöre nicht zu diesen glücklichen Cosmopoliten. Meine Turnschuhe...ohne Marke, verbeult und abgelatscht, meine Hose...wird auf dem Flug am Bauch und im Schritt kneifen, ich werde ein zu kurzes T-shirt tragen, das immer hochrutscht. Ich bin garantiert entweder zu leicht oder zu warm angezogen, und alles wirkt zusammengewürfelt und irgendwie wirr. Na, werde am Ende doch alles dabei haben, was man so braucht. Diesmal habe ich mich für viel Langärmliges entschieden, da man am Amazonas besser vor Mücken geschützt sein sollte. Ich habe, wie empfohlen, lange Hosen dabei, aus festem Stoff, um den Blutsaugern so wenig wie möglich zu bieten. Festes Schuhwerk ein Must. Brav habe ich in der Apotheke Mückenspray für Haut und Kleidung besorgt, auch die Notfallmedikamente gegen Malaria. Meine Impfungen habe ich alle hinter mich gebracht - besonders schlecht habe ich die Hepatitis und Gelbfieberimpfungen vertragen...also ich sage nur "schön is anders". Aber all das wird sich gelohnt haben! Ich freu mich auf diese Reise wie verrückt. Für mich trifft gerade ein Zitat von Rosa Luxemburg wie die Faust aufs Auge :"Nur wer sich bewegt, spürt seine Fesseln". Dies mein Motto für die Tour. Ich möchte diese Reise als Abenteuer und Auszeit erleben, mich offen und frei den Eindrücken hingeben - habe eine Wegwerfkamera gekauft und zwei Reisenotizbücher...da lacht die Henni - heutzutage macht man einfach einen Reiseblog. Aus welchem Jahrhundert komme ich eigentlich? Ja die Rosa, wie aktuell die immer noch ist. Schlimm, dass sich die Gefahren der freien Meinungsäusserungen in Brasilien wieder massiv einstellen, und die Profitgier auch vorm Regenwald nicht haltmacht. Da weiß man wieder gleich, weshalb man dieses Stück spielen muss! Trotzalledem. Mir ist ein bisschen unwohl wegen den Bränden. Hoffe, die Reiseleitung hat die richtigen Infos. Ich erspare euch Fotos von meinem schlampigen Gepäck und freue mich auf euch Kollegen. Dies die Gedanken, vier Tage vorm Abflug, spät in der Nacht...
Henrike, 28. August 2019
Als ich vor zwei Tagen das Textbuch von Rosa - Trotz alledem zur Einstimmung auf die kommenden Vorstellungen gelesen habe, ist mir sehr bewusst geworden, wie beinahe absurd gut es gerade jetzt passt, dieses Stück in Brasilien zu spielen. Rosa Luxemburg hat sich schon vor 100 Jahren Gedanken über die Gefahren der kapitalistischen Wirtschaft gemacht und ihren Schmerz über die Folgen in einem ihrer Briefe aus dem Gefängnis zum Ausdruck gebracht:
„Gestern las ich über die Ursache des Schwindens der Singvögel in Deutschland: es ist die zunehmende rationelle Forstkultur, Gartenkultur und der Ackerbau, die ihnen alle natürlichen Nist- und Nahrungsbedingungen Schritt für Schritt vernichten. Mir war es so sehr weh. Dieses Bild des stillen unaufhaltsamen Untergangs dieser wehrlosen kleinen Geschöpfe schmerzt mich so, dass ich weinen musste.“
Letztlich ist es genau das, was im Amazonas gerade passiert. Brasiliens Präsident Bolsonaro macht Versprechungen, die Abholzung des Amazonas zu Gunsten der Landwirtschaft zu unterstützen, Ackerbau, Viehzucht und vor allem der Gedanke an Profit führen dazu, dass große Flächen von Grün schwinden und das tut echt weh. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen in Brasilien bin ich sehr gespannt, inwieweit wir durch das Stück in den Austausch über die Themen kommen, die das Land gerade bewegen.
Henrike, 27. August 2019
Zeit bis zum Abflug 5 Tage 04h 33min…diesen Countdown zeigt mir die Webseite der Lufthansa heute an und führt mir damit ganz deutlich vor Augen, dass es sehr bald losgeht. Die Tournee startet zwar offiziell erst am 8. September, aber Teile unseres Teams haben entschieden, schon eine Woche früher zu fliegen und die Reise zusätzlich als Anlass für einen gemeinsamen Urlaub zu nehmen - Teambuilding könnte man das auch nennen.
Ich bin schon so gut wie ready for take-off, allerdings mischt sich in die steigende Vorfreude natürlich auch die Sorge um die momentane Situation im Amazonasgebiet. Wir werden am Montagmorgen nach Manaus, in die Hauptstadt des brasilianischen Bundesstaates Amazonas, weiterfliegen, um dann einige Tage im Dschungel zu verbringen. Auf den Satellitenaufnahmen, die zur Zeit viral gehen, sieht es so aus, als ob wir direkt ins Krisengebiet hinein fliegen. Allerdings haben unsere Ansprechpartner*innen vor Ort noch keine ernsthafte Warnung ausgesprochen und auf diese Einschätzung werden wir uns voller Zuversicht verlassen.