Was kann Theater?

Anja, 27. September 2019 

Als ich 2017 das Stück über Rosa Luxemburg "ROSA – Trotz alledem“ schrieb, wusste ich nach dem Lesen von Biografien, Schriften und Reden, dass ihre Ideen revolutionär, wirkmächtig waren und noch immer sind, dass Wort und Tat bei Rosa Luxemburg im Einklang standen und eine unsagbare Kraft ausübten.

 

Ich wollte, dass Rosas Gedanken lebendig bleiben und die Zuschauer verstehen, dass Rosas Worte – vor über 100 Jahren ausgesprochen –  sich bewahrheitet haben und dass die Folgen des ungezügelten Kapitalismus heute an jedem noch so entfernten Winkel der Erde sichtbar sind. Ich wollte, dass die Menschen sich auf Grundlage der Persönlichkeit von Rosa Luxemburg Gedanken über das eigene Leben, das eigene Handeln im Hier und Jetzt machen. Denn die Zeiten sind düster.

 

Vor unserer Brasilien-Reise hatten wir bereits 34 Aufführungen in Deutschland gespielt. Die meisten davon in Berlin im Theater unterm Dach, aber auch viele Gastspieleinladungen. Überall trafen wir auf ein Publikum, das sich durch die Aufführungen inspiriert fühlte, sich mit der Person Rosa Luxemburg näher auseinanderzusetzen. Das war schön.

 

Dann jedoch, vor etwa einem Jahr, kam die Anfrage der Rosa-Luxemburg-Stiftung anlässlich des 100. Jahrestags der Ermordung von Rosa, eine Tour durch Brasilien zu planen. Das war ein unglaublich großartiges Unterfangen und ich stimmte sofort zu.

 

Im Januar 2019 wurde Bolsonaro zum Präsidenten Brasiliens gewählt und ich dachte, wir werden mit unserem linkspolitischen Theaterstück wohl doch nicht nach Brasilien fahren dürfen. Trotz alledem, klappte es!

Dank der Finanzierung durch die Rosa-Luxemburg-Stiftung und der hervorragenden Planung des Goethe-Instituts mit PLATÔproduções von Dora Leão, fand unsere Tour durch vier brasilianische Städte (São Paulo, Porto Alegre, Rio de Janeiro und Salvador) tatsächlich statt. 

 

Auf die Reaktionen, die unser Theaterstück in Brasilien auslöste, war ich nicht gefasst. In São Paulo und Porto Alegre wurden über 100 Menschen nach Hause geschickt, weil es ausverkauft war. Salvador war übervoll und selbst in Rio waren 80 % der Plätze besetzt. Wir konnten nicht wissen, dass so viele Menschen ein deutsches Stück über Rosa Luxemburg sehen wollen.

Die Menschen standen nach Ende der Vorstellung auf, skandierten „Lula libre“, bedankten sich, umarmten mich. Sprachen mit uns darüber, wie wichtig dieses Stück in diesen dunklen Zeiten, die Brasilien gerade erlebt, wäre, dass wir es in ganz Brasilien zeigen müssten, dass das Stück ihnen Hoffnung und Zuversicht gibt.

Gibt es etwas Beglückenderes? 

 

Ich spürte sofort, hier gehört "ROSA – Trotz alledem" hin. Hier, wo eine evangelikale, repressive Regierung an der Macht ist, die die Bildungs- und Kulturetats streicht, die zulässt, dass Farmer in gezielten Aktionen den Regenwald abbrennen, die der brutalen Polizeigewalt gegen Favela-Bewohner zustimmt, Minderheiten ausgegrenzt. Hier, wo die Diktatur des Kapitals und die ungleiche Verteilung des Eigentums nicht mehr zu verstecken ist, verstehen die Menschen die Botschaft des Stückes.

 

Alle persönlichen Niederlagen, alle Kämpfe und Zwistigkeiten, die finanziell vollkommen prekären Verhältnisse, unter denen wir ROSA –  Trotz alledem 2017 zur Aufführung brachten, haben sich für mich während der Tour aufgelöst. Ich weiß jetzt, dass Theater in den Herzen und Köpfen der Menschen tatsächlich etwas bewegen kann. Obrigada, Brasil! Danke dafür, dass ich den vielleicht bedeutendsten Theatermoment meines Lebens erleben durfte. Danke, dass ich wieder genau weiß, warum ich Theater mache und warum es politisch sein muss!

Ich danke der Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin, Torge Löding und Christiane Gomes in São Paulo, dass ihr die Reise finanziert und gewollt habt!

Ich danke dem Goethe-Institut, insbesondere Karine Legrand in São Paulo, Leonel Henckes in Salvador für die wunderbare Zusammenarbeit.

 

Ich danke auch meinem deutschen Team. Barbara Kastner für die tolle gemeinsame Vorbereitung und das Live-Fahren der Übertitelung. Danke an Alexander Ernst und Henrike Schmidt für eure unermüdliche Arbeit hinter den Kulissen, beim Aufbau und Einrichten. Ihr wart großartig! Dank aber auch meinen Spielern: Susanne Jansen, Annegret Enderle, Arne van Dorsten und Lutz Wessel. Ihr habt in Brasilien spielerisch eine neue Kraft entfaltet und das Anliegen der Figuren mit großer Ernsthaftigkeit transportiert. Ein neuer (brasilianischer) Teamgeist durchwehte unsere Gruppe.

 

Ein riesengroßes Dankeschön dem Brazilian–Team von und mit Dora Leão, André Bortolanza, Grazi Vieira, Raka Balekian für eure professionelle Arbeit. Ihr habt ALLES für uns möglich gemacht, ihr wart jeden Tag mit eurer ganzen Energie und dem Herzen dabei. Ihr habt uns mitgenommen zu Plätzen jenseits der Touristenpfade, habt uns entführt in eure lebendige brasilianische Welt.

Wir haben zusammen gearbeitet, gelebt, gegessen, getrunken, gefeiert.

Es war eine intensive und bewegende Zeit, die ich niemals vergessen werde.

Muito obrigada!